20.08.2024 - Medizin Ost

Einberufung eines „Ausbildungsgipfels Medizin-Ost“

Gerade in den strukturschwachen ländlichen Regionen zeichnet sich in den
ostdeutschen Bundesländern eine Unterversorgung bei der ärztlichen, zahnärztlichen,
pharmazeutischen, therapeutischen und pflegerischen Versorgung ab. Um eine
bedarfsgerechte Versorgung durch niedergelassene Ärzte, Zahnärzte und Apotheker
flächendeckend zu gewährleisten, braucht es in diesen Berufen mehr
Hochschulabsolventen und Absolventen in therapeutischen und pflegenden Berufen,
die auch anschließend in den ostdeutschen Bundesländern tätig werden. Daher
müssen die Studien- und Ausbildungskapazitäten in den ostdeutschen Bundesländern
dringend ausgebaut werden, denn Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Therapeuten und
Pflegefachkräfte, die vor Ort ausgebildet werden, können später am
wahrscheinlichsten für die Versorgung in der Region gehalten werden.

Wir fordern daher die Einberufung eines „Ausbildungsgipfels Ost“ durch die
Wissenschafts- und Gesundheitsminister der ostdeutschen Bundesländer unter
Beteiligung des Bundesgesundheitsministers Lauterbach. Ziel muss es sein, einen
klaren Studienkapazitätsausbaupfad festzulegen, der als Grundlage eines novellierten
Hochschulpaktes dient. Der Aufbau und Ausbau der Studienplatzkapazitäten wird
allerdings einiges an Zeit in Anspruch nehmen. Die ostdeutschen Bundesländer
brauchen jedoch sofort mehr Kapazitäten. In Anlehnung an das erfolgreiche
Modellprojekt „Studieren in Europa – Zukunft in Sachsen“ der Kassenärztlichen
Vereinigung Sachsen, wollen wir daher die Studienkapazitäten privater oder
europäischer Hochschulen nutzen, um den Bedarf an den in der Versorgung
benötigten Absolventen zu decken, solange nicht ausreichend Studienplätze an den
staatlichen Hochschulen angeboten werden.

Neben der Erhöhung von Studienplätzen, deren Effekte erst in einigen Jahren
eintreten, müssen grundsätzlich die Rahmenbedingungen für junge Ärzte verbessert
werden, um kurzfristig Wirkungen zu erzielen. Ein Beispiel hierfür ist die
Niederlassungsförderung von Ärzten, Zahnärzten und Apothekern im ländlichen Raum
in Thüringen, die auf eine Initiative der Parlamentarischen Gruppe der FDP im
Thüringer Landtag zurückgeht. Der Freistaat Thüringen stellt hierbei im Rahmen einer
Zuwendung bis zu maximal 40.000 Euro für Investitionen bereit.

Im Bereich der Pflege ist aufgrund der praktischen Erfahrungen das generalistische
Ausbildungssystem neu zu überdenken. Es werden zunehmend Rufe aus der Praxis
laut, die dieses Ausbildungskonzept wegen fehlender Spezialisierung der
Auszubildenden in Frage stellen. Hier muss eine zeitnahe Evaluation der Wirkungen
der Reform des Ausbildungssystems dafür sorgen, langfristige Fehlentwicklungen zu
vermeiden.

Versorgung als Teamleistung aller Akteure des Gesundheitswesens

Nicht zu Letzt aufgrund dieses Fachkräftemangels, muss das vorhandene Personal
effizienter eingesetzt und die Kompetenz der anderen Gesundheitsberufe vollständig
genutzt werden. Wir brauchen einen jeden, der bereit ist, qualifizierte Leistungen für
Patienten zu erbringen. Hierfür braucht es ein klares politisches Handeln, welches auf
die Sicherung der gesamten Versorgungskette abzielt. Für uns ist klar, dass eine
optimale Versorgung von Patienten nur als Teamleistung aller Akteure des
Gesundheitswesens gelingen kann. Und auch nur dann, wenn die
Rahmenbedingungen so sind, dass sich Leistung lohnt und honoriert wird.

Apotheken sind oft erste Anlaufstelle für Patienten, häufig noch vor dem Arzt. Daher
sind diese mehr als reine Medikamentenabgabestellen. Statt einer „Apotheke light“
müssen sie mit ihrem pharmazeutischen Wissen noch viel stärker in die Versorgung
einbezogen werden. Sie sind essenziell, um zukünftig – neben Ärzten, Zahnärzten,
Therapeuten und Pflegefachkräften – einen wohnortnahen und qualitativ
hochwertigen Zugang zur Versorgung sicherzustellen. Die wirtschaftliche Situation für
Apotheker hat sich in den letzten Jahren allerdings drastisch verschlechtert. Die hohen
Kostensprünge sind durch reine kaufmännische Tätigkeiten der Apotheker nicht zu
kompensieren. Die Politik muss daher ihrer Verantwortung nachkommen, mit einer
angemessenen Vergütung die Wirtschaftlichkeit von Apotheken sicherzustellen.
Insbesondere das Bereitstellen und die Abgabe von Medikamenten sowie das
Erbringen der pharmazeutischen Dienstleistungen muss attraktiver werden, da die
stärkere Nutzung der pharmazeutischen Kompetenzen der Apotheker sowohl zu
Qualitätssteigerungen zum Wohl der Patienten als auch zu signifikanten
Kosteneinsparungen für das gesamte Gesundheitssystem führt.

Auch das Potential der Heilmittelerbringer wird aktuell nicht voll ausgeschöpft. Gerade
Physio- und Ergotherapeuten verfügen über eine Vielzahl an Kenntnissen und
Erfahrungen, die diese im Gegensatz zu ihren Kollegen im EU-Ausland bislang nicht
vollumfänglich einsetzten dürfen. Wir setzten uns daher für den Direktzugang zu
diesen Berufen ein. Ein solcher würde die Versorgungsqualität verbessern, die
langfristige Versorgungskosten im Gesundheitswesen reduzieren, die Hausärzte
entlasten und die Anzahl der medizinisch nicht notwendigen Patientenkontakte
(Folgerezepte) verringern.

Den Patienten in den Blick nehmen

Zusätzlich zur erhöhten Inanspruchnahme von Ärzten kann eine hohe Anzahl an
medizinisch nicht notwendigen Patientenkontakten und an nicht wahrgenommenen
Arztterminen beobachtet werden. Allein in Thüringen wird ca. ein Viertel der Termine
unentschuldigt nicht wahrgenommen. Daher braucht es eine höhere
Eigenverantwortung der Patienten und eine Steuerung der Nachfrage der Patienten,
noch bevor diese das System überhaupt beansprucht.

Darüber hinaus bietet eine Stärkung des Case Managements die Möglichkeit, sowohl
die Lebens- als auch die Versorgungsqualität von Patienten zu verbessern. Dies
betrifft insbesondere Patienten mit chronischen oder degenerativen Erkrankungen
sowie Patienten mit komplexen gesundheitlichen Problemlagen. Ein Case
Management findet in der Regel im häuslichen Umfeld statt, sichert die Therapietreue
(Compliance) ab und vermindert in vielen Fällen die nicht notwendige
Inanspruchnahme der limitierten medizinischen Ressourcen.

Mit Bürokratieabbau die Heil- und Pflegeberufe entlasten

Gleichzeitig ist es unerlässlich, die Heil- und Pflegeberufe von Bürokratie zu entlasten.
Dies wäre die schnellste Form der Unterstützung. Doch Bundesgesundheitsminister
Lauterbach ist bislang das notwendige Gesetz schuldig geblieben und hat zudem noch
die Umsetzung von im Bundestag beschlossenen Bürokratieentlastungen, wie
beispielsweise die Abgaberegeln im Rahmen des Arzneimittel-
Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes (ALBVVG),
ausgebremst.

Es gibt allerdings reichlich Handlungsbedarf, bspw. beim Absetzten von Verordnungen
bei Heil- und Hilfsmittelerbringern. Während die Retaxierung bei den Apothekern bei
bestimmten Formfehlern durch das ALBVVG auf Initiative der FDP verboten wurden,
sind ähnliche Praktiken bei anderen Gesundheitsberufen weiterhin gängig. Aufgrund
formaler, nicht therapierelevanter Fehler auf Verordnungen sehen sich auch Heil- und
Hilfsmittelerbringer mit hohen Absetzungen durch die Krankenkassen ausgesetzt. Die
Nichtvergütung, obwohl die geforderte und veranlasste Leistung in der vertraglich
vereinbarten Qualität erbracht wurde, löst bei den Betroffenen neben einem
wirtschaftlichen Schaden auch eine hohe Frustration aus. Für uns ist dies verständlich,
denn dies stellt einen klaren Widerspruch zum Leistungsprinzip dar und zeugt von
keinem fairen Umgang zwischen den Vertragspartnern. Wir fordern daher, die
Absetzung von Verordnungen durch die Krankenkassen gesetzlich auszuschließen,
sofern keine therapierelevanten Fehler vorliegen.

Maximale Entscheidungsfreiheit der Akteure vor Ort

Darüber hinaus entsprechen starre Vorgaben aus dem Bund häufig nicht den
komplexen Realitäten in der Versorgung vor Ort. Wir wollen daher durch eine
Ordnungspolitik der langen Linien den Akteuren vor Ort Handlungsspielräume für
Innovationen und Kooperationen eröffnen. Die Selbstverwaltung muss so gestärkt
werden, dass diese vor Ort von ihrer Möglichkeit, mit innovativen Konzepten von
Bundesvorgaben abzuweichen, Gebrauch machen können.

Thomas L. Kemmerich, Vorsitzender der FDP im Thüringer Landtag
Zyon Braun, Vorsitzender der FDP Brandenburg,
Dr. Anita Maaß, Vorsitzende der FDP Sachsen
Andreas Silbersack
, Fraktionsvorsitzender der FDP im Landtag von Sachsen-Anhalt
René Domke, Fraktionsvorsitzender der FDP im Landtag Mecklenburg-Vorpommern​